Tollhaus VBS: Chaos total

Seit die Armee XXI unter Dach und Fach ist, überschlagen sich die Ereignisse im VBS und es herrscht ein totales Chaos. Dazu haben die Medien einiges aufgestaut, was vor dem 18. Mai niemals hätte öffentlich werden dürfen. Doch jetzt scheint der Damm gebrochen. Der Reihe nach:

1. Genau zwei Tage nach der Abstimmung beginnt die grosse Boulevard-Presse breit über die „Sex-Schnüffler im VBS“ und die neue Rekrutierung zu berichten und plötzlich befassen sich auch die Politiker ernsthaft mit der neuen Rekrutierung. Unsere Kritik an der neuen Rekrutierung wurde aus VBS-Kreisen bis zum 18. Mai als „Märchen der Gebrüder Grimm“ abgetan. Jetzt plötzlich diskutieren die Herren ernsthaft und gestehen langsam und zögerlich Fakten ein. Doch diese Fakten liegen schon seit 5 Monaten auf dem Tisch.

2. Wenige Tage nach der Abstimmung gestehen führende Armee-Kreise ein, dass die Armee XXI kein realistisches Finanzkonzept habe und mangels Mitteln (personellen, finanziellen und materiellen) bereits jetzt vor dem Ende stehe. Die Umsetzung der Armee XXI habe nach der Abstimmung vom 18. Mai gerade erst begonnen, betonte Zahno (Sprecher des Generalstabs). Und schon jetzt muss das Konzept aufgrund der rigoroseren Sparvorgaben wieder angepasst werden. Zahno gegenüber einer Sonntagszeitung: «Wir wollen aber keine neue Revolution wie bei der Armee XXI, sondern eine Evolution.»
Vor der Abstimmung hiess es noch, man müsse der Armee XXI „aus finanzpolitischen Gründen“ zustimmen und unsere Kritik wurde verschwiegen.

3. Einen Tag später schreibt eine Schweizer Tageszeitung auf der Titelseite "Armee-Grounding". Fahrzeuge würden verschrottet, weil Geld für Pneus fehle und Massenentlassungen im VBS seien vorgesehen.

4. Wenige Tage danach kommt ans Licht, dass untersucht wird, ob sich Mitarbeiter des VBS und hohe Militärs bestechen liessen. Eine Privatfirma hat VBS-Angestellte zu Luxusreisen eingeladen – und darauf einen millionenschweren Auftrag erhalten. 
Der Verdacht: Hohe Militärs und andere VBS-Mitarbeiter hätten sich durch Luxusreisen von der Firma Omnisec «kaufen» lassen. 
Die Stimmung an den Festspielen in Verona und Nîmes war hervorragend: Divisionäre, Brigadiers, Obersten und Mitarbeiter der Gruppe für Rüstung genossen - teils in Begleitung ihrer Ehefrauen oder Partnerinnen - die von der Firma Omnisec organisierten Reisen. Wenig später erhält die auf Verschlüsselungssoftware spezialisierte Omnisec einen Millionen-Auftrag vom VBS
In einer einfachen Anfrage an das Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) verlangt ein Nationalrat Aufklärung. «Glaubt der Bundesrat, dass die Teilnehmer an diesen Reisen noch unabhängig genug sein können, um einen solchen Auftrag sach- und nicht kundengerecht vergeben zu können?», fragt er. Denn gemäss Personalreglement ist die Annahme von Geschenken strikt untersagt, wie VBS-Generalsekretär Juan Gut bestätigt. «Aber es gibt einen Ermessungsspielraum», so Gut gegenüber dem Sonntags-Blick. «Was man an einem Abend essen und trinken kann, ist akzeptabel. Mehr aber nicht.» Jetzt wurden Gruppen und Ämter des VBS aufgefordert, alle Namen der Reise-Teilnehmer zu nennen und weitere Fragen zu beantworten. 

5. Nur einen Tag später kommt ein weiterer Skandal ans Licht: 
Neun Herren unter Führung von Korpskommandant Ulrico Hess, Chef des Feldarmeekorps (Fak) 4, besteigen den zehnplätzigen Jet. Mit dabei: zwei Divisionäre, drei Brigadiers, ein Oberst, ein Major. Und als Gast der ehemalige Direktor des Bundesamts für Polizei, Anton Widmer. Und auf geht’s. Zur sechstägigen «Studienreise der höheren Stabsoffiziere» des Ostschweizer Fak 4 nach Tbilissi in Georgien. Dort stösst gleichentags noch Brigadier Peter Arbenz, ehemaliger Flüchtlingsdelegierter, zur Reisegruppe. Was das ist? Das ist ein „Schulreisli“ hoher Offiziere, das den Steuerzahler weit über 100 000 Franken kostet. In einer Zeit, wo das VBS von Bundesrat Samuel Schmid massiv sparen und Stellen streichen muss. Unten sparen, oben jetten? 
Die Generäle liessen sich nicht lumpen. In Tbilissi stiegen sie im besten Haus ab, dem «Marriott». Der Falcon (Kosten pro Flugstunde: 6500 Franken) flog die 3000 Kilometer viermal. Er brachte die Militärs nach Georgien, kehrte in die Schweiz zurück und holte die Generäle wieder ab. Was soll das? «Solche Bildungsreisen dienen ganz allgemein der persönlichen Weiterbildung und der Horizonterweiterung sowie der Pflege des Benchmarkings», heisst es von den hohen Militärs. Entsprechend bunt war das Georgien-Programm. Es enthielt: Besuche bei georgischen Truppen, Uno-Beobachtern, der OSZE-Mission. Dazwischen einen Lunch bei einer Ölgesellschaft und einen Besuch im – Stalin-Museum. Übrigens: Die Reise wäre natürlich geheim geblieben, hätte da nicht eine Nationalrätin auf eigene Kosten in Georgien Ferien gemacht und die hohen Offiziere zufällig entdeckt....es fragt sich, seit wann und wie oft solche Reisen schon stattfinden.

6. Am Sonntag darauf klagen VBS-Angestellte in einer Boulevard-Zeitung über Millionenflops im Informatik-Bereich. So beim Personal-Informationssystem «Pisa», das am 16. Juni eingeführt wird. Kosten: 45,9 statt wie 1999 geplant 20 Millionen. Mit ein Grund für die Mehrkosten: Probleme mit der Informatikfirma IBM als Generalunternehmerin. Laut VBS war der erste IBM-Projektleiter überfordert. Ein neuer Gesamtprojektleiter kam. Wieder ein IBM-Mann. Filz? Stossend ist jedenfalls: Der neue IBM-Mann wahrte im Projekt auch die Interessen des VBS. Er war Vertreter von Auftraggeber und Kunde in einem. «Keine optimale Lösung», räumt VBS-Informatikchef Bernhard Horrisberger ein. Seltsam auch: Als es Probleme gab, wurde eine Controllerin von PriceWaterhouseCoopers eingesetzt. Jetzt ist sie im VBS angestellt. 

7. 100 vorab 58- und 59-jährige Angestellte müssen erfahren, dass sie nicht wie vor der Armee XXI-Abstimmung versprochen frühzeitig in Pension gehen können– wegen Geldmangels. Schmid bedauerte am Freitag, dass «falsche Hoffnungen» geweckt wurden. Abklärungen laufen auch da. 

8. Die allgemeine Wehrpflicht wurde mit der Armee XXI faktisch abgeschafft, was auch erst jetzt bestätigt wird. Und die Unfähigkeit der Schweizer Armee zur autonomen Verteidigung kommt auch langsam ans Licht, was eine Grundvoraussetzung für einen neutralen und unabhängigen Staat wäre. Die Politik der Schweiz zum Schutz vor den unliebsamen Auswirkungen des G-8-Gipfels in Evian ist nur ein weiteres Beispiel dafür, dass dieses Land nicht mehr willens und fähig ist, die eigene Sicherheit zu garantieren, sondern die Handlungsfreiheit ausländischen oder unbekannten Kräften überlässt. Wenn die Schweiz nicht einmal autonom die Sicherheit einer Region bei der Durchführung einer internationalen Konferenz sicherstellen kann, wie sähe es dann erst im Ernstfall aus?

9. In der Nationalratsdebatte vom 3. Juni wird der Nationalrat damit konfrontiert, dass der Bundesrat im November 2002 eine Anfrage der NATO bekommen hat, ob sich auch die Schweiz mit zwei bewaffneten Offizieren an einem Einsatz in Afghanistan beteiligen würden. Während die Nationalratsdebatte stattfindet sind die Offiziere bereits seit Monaten im Einsatz. Nur nebenbei: Pro Mann kostet dieser sinnlose Einsatz mindestens 190'000 Franken. Erinnern wir uns zurück an die Debatte über die Auslandeinsätze der Schweizer Armee: Der Bundesrat darf nur in absoluten Dringlichkeitsfällen ohne Parlament Schweizer Militärs ins Ausland schicken und dies nur dort, wo Schweizer Interessen auf dem Spiel stehen. Das ist hier sicher beides nicht der Fall. Diese Entwicklung ist gefährlich. Die Demokratie wurde einmal mehr umgangen. Und es sei die Frage erlaubt, ob wir wirklich bald in der ganzen Welt an irgendwelchen Einsätzen teilzunehmen sollen. Aber es ist ja gar nicht so tragisch. Wir zahlen dafür nur noch mehr Steuern und setzen, mischen uns als „neutrales“ Land in internationale Konflikte als Partei ein und setzen das Leben von Schweizer Soldaten fahrlässig aufs Spiel. Alles kein Problem......

10. Die letzte RS nach Armee 95 (15 Wochen) ist mit über 23'000 Rekruten dermassen überbelegt, dass zusätzliche Räume gemietet werden müssen und Rekruten in Zivilschutzanlagen verlegt werden. Von Mehrausgaben in Millionenhöhe wird gesprochen. Grund: Viele können sich aufgrund von Problemen mit der zivilen Ausbildung eine 21wöchige RS nicht leisten und haben deshalb die RS auf diesen Sommer vorverschoben. Doch das VBS meint noch immer, dass die längere RS für die Rekruten ein Vorteil ist und niemanden trifft. Man könne ja die RS in zwei bis drei Teilen machen.....schön für die, die es glauben. Mit Ausnahme von Spitzensportlern und einigen Spezialeinheiten werden solche Gesuche diskussionslos abgelehnt.

Gab es jemanden der das alles ahnte? Zitieren wir doch nur unser Argumentarium: "Die Armee XXI will alle Parameter auf einmal ändern und belässt nicht einen einzigen Verband wie er ist. Wer auch nur eine kleine Ahnung von Reorganisation und systemischen Verhalten hat, weiss, dass dies nie gelingen kann." Und auch zum fehlenden Finanzkonzept haben wir uns bereits im Februar geäussert. 
(siehe http://www.young4fun.ch/news/communiques/13februar2003.htm)

(Ex?)-GSoA-Mitglied Sigg, als bekennender Armeeabschaffer heute VBS-Generalsekretär (wo wir bei Skandal Nr.10 von beliebig vielen VBS-Skandalen wären...), erklärt in der Sonntagspresse zu den Vorfällen:«Das frühere EMD ist im stärksten Wandel seit 1848 begriffen. Tausende von Stellen werden abgebaut, Hunderte von Millionen Franken hat das VBS gespart – und so geht es weiter. Das geht aber nicht ohne Reibungsverluste und Unruhe.» Doch Sigg bleibt optimistisch: «Insgesamt ist die Reform auf Kurs und am 18. Mai vom Volk glänzend bestätigt worden.»

Wohin soll das alles führen?
Im Tollhaus VBS herrscht das totale Chaos und nichts scheint unter Kontrolle. Die Schweizer Armee muss je länger je mehr abgeschrieben werden. Schaden tut's den Steuerzahlern und allen Armeeangehörigen, die für diese Lachnummer noch bereit sind, 4 Milliarden im Jahr auszugeben und im Notfall gar ihr Lebens aufs Spiel zu setzen.
Nützen tut's der GSoA - weil bald niemand mehr hinter einer solchen Armee stehen kann. Man stellt sich ernsthaft die Frage, ob hinter dieser tragischen Entwicklung Absicht steckt. Oder steht man im VBS tatsächlich so neben den Schuhen?

Lukas Reimann, Wil